Langzeitüberleben - Zwischen Angst, Heilung und Lebensqualität

Anlässlich der diesjährigen German Cancer Survivors Week, die unter dem Motto „Niemand ist alleine krank“ steht, möchten wir Ihnen Einblicke in eine spannende Podiumsdiskussion geben, die im Rahmen der 8. Nationalen Versorgungskonferenz Hautkrebs im Februar 2022 zum Thema Cancer Survivorship, bzw. Langzeitüberleben nach Hautkrebs stattgefunden hat. Weiterhin haben wir Betroffene und Ärzte zum Thema Langzeitüberleben befragt. Die Interviews finden Sie unter folgenden Links:

Was versteht man unter dem Begriff Langzeitüberleben?

Unter Langzeitüberleben versteht man das rückfallfreie Leben nach erfolgreicher Krebstherapie, wobei es verschiedene Definitionen gibt, die sich unter anderem hinsichtlich der Variablen ‚Zeit‘ und ‚Stadium‘ unterscheiden. Als Langzeitüberlebende/r oder Cancer Survivor kann beispielsweise gelten, wer mindestens fünf Jahre nach Diagnosestellung kein Rezidiv erlitten hat.

Auch wenn Langzeitüberlebende meist als krebsfrei erachtet werden, ist ihr Leben oftmals auch lange Zeit nach der Krebsdiagnose und nach Abschluss aller Therapien von erheblichen körperlichen, psychischen und psychosozialen Folgen ihrer Erkrankung und Therapie geprägt.

Welche Bedürfnisse haben Langzeitüberlebende?

Die Anforderungen und Schwierigkeiten im Leben der Langzeitüberlebenden nach einer Hautkrebserkrankung gestalten sich individuell, je nach Tumor-Stadium, Alter, Überlebenszeit, familiärer Situation, sozialem Umfeld oder finanzieller Situation. Darüber hinaus verfügen Betroffene über unterschiedliches Vorwissen und haben nicht den gleichen Zugang zu Informationsangeboten und Möglichkeiten, ihre Rechte oder Unterstützung einzufordern. Hier will auch das Infoportal Hautkrebs (www.infoportal-hautkrebs.de) helfen.

Einige Langzeitüberlebende haben das Bedürfnis ihre Selbstwirksamkeit und ihre Selbstsicherheit zurückzuerlangen, wobei ihnen das Narrativ des Survivorships helfen kann. Andere fühlen sich durch die Bezeichnung „Langzeitüberlebende/r“ auf ihre Krebserkrankung reduziert. Diese Ambivalenz verdeutlicht den Bedarf eines sensiblen und personenzentrierten Umgangs mit der Thematik.

Wo steht die Forschung?

Datenerhebungen unter Langzeitüberlebenden sollen für die Entwicklung förderlicher Survivorship-Programme nutzbar gemacht werden. Allerdings fehlt es bislang oftmals an differenzierten Daten, die für die Konzeption personalisierter Programme erforderlich sind. Für Hautkrebspatient/innen sind Langzeitdaten nur eingeschränkt vorhanden und auf Studienergebnisse begrenzt, deren Patientengruppen selektioniert sind und deren Nachbeobachtungszeit nur sehr selten über 5 Jahre hinausreicht.

Um die Datenlage zu verbessern, könnten zukünftig größere Subgruppen hinsichtlich der Faktoren Tumor-Stadium, Alter, Überlebenszeit, familiärer Situation, sozialem Umfeld oder finanzieller Situation quantifiziert werden. Diese differenzierteren Studien könnten beispielsweise Aussagen darüber treffen, inwieweit z.B. Tumorstadium und individuelle Überlebenswahrscheinlichkeit mit definierten Bedürfnissen assoziiert sind. Ein Krebsregister nach dem Vorbild anderer Länder, welches beispielsweise die Nutzung von Krankenkassendaten oder die Beobachtung von Kohorten von Betroffenen mit Hautkrebs im Längsschnitt umfasst, existiert in Deutschland bisher noch nicht. Projekte dieser Art kämpfen hierzulande mit Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit.

Vorliegende Daten über das Langzeitüberleben nach einer Hautkrebserkrankung werden ausschnittsweise überwiegend mittels Fragebögen, beispielsweise zum Thema Lebensqualität, erhoben. Diese Befragungen bedürfen jedoch weiterer Diskussion zur Repräsentanz von Daten. Diese Instrumente müssen weiterentwickelt und differenziert werden, um sie so für Langzeitstudien zum Cancer Survivorship besser nutzbar machen zu können. Hierbei wird es wichtig sein, Selektions- und Befragungsverzerrung zu vermeiden und Einigkeit zu erzielen, welche Angaben und Gruppen zu erfassen sind.

Wie wird in der ärztlichen Praxis mit Cancer Survivorship umgegangen?

Moderne Therapien und dadurch gestiegene Überlebenswahrscheinlichkeiten tragen dazu bei, dass der Aspekt Langzeitüberleben bereits bei Diagnose und in allen Stadien der Erkrankung seitens der Ärzt/innen mitgedacht werden sollte. Die Behandelnden sollten sich darüber bewusst sein, dass Hautkrebsüberlebende, auch noch Jahre nach operativen und medikamentösen Therapien, massiv in ihrer Lebensqualität eingeschränkt sein können. Eine umfassende und patienten-partizipative Aufklärung ist von größter Bedeutung („shared decision making“). Ärzt/innen sollten ihre Patient/innen hinsichtlich anhaltender Langzeit-Nebenwirkungen und Spätfolgen von Hautkrebserkrankung und -therapie, wie beispielsweise Depressionen, Erschöpfung/Fatigue, Angst vor einem Rezidiv oder finanzielle und soziale Probleme, ernstnehmen. Respektvoller Umgang und partizipative Entscheidungsfindung sind kritische Erfolgsparameter für das Vertrauensverhältnis zum Arzt oder der Ärztin. Darüber hinaus kann das Bewusstsein über Langzeit-Nebenwirkungen und deren Erwartbarkeit Falschdiagnosen und unnötiges Leid der Patient/innen vermeiden. Viele Betroffene schildern, dass Symptome beispielsweise einer Hypophysitis (Entzündung der Hirnanhangsdrüse) ohne die Berücksichtigung einer zurückliegenden Hautkrebserkrankungen häufig nicht erkannt oder fälschlicherweise als Fatigue diagnostiziert werden. Sowohl die aktuelle Datenlage bezüglich der Frequenz und Qualität der Beschwerdesymptomatik als auch der zeitliche Verlauf bei Hautkrebspatientinnen und -patienten ist nicht tragfähig, so dass die Bedürfnisse nur rudimentär bekannt und entsprechende Angebote für Betroffene fehlen.

Wie steht es um die Versorgungsangebote?

Aktuell fehlt es an Zugangsmöglichkeiten zu gesundheitlichen Reha-Maßnahmen für Langzeitpatient/innen, die diese trotz ihrer Beschwerden nicht mehr als Anschlussrehabilitation, bzw. im Rahmen ihrer vorgesehenen Nachsorgebehandlung, beanspruchen können. Dies ist derzeit nur möglich, wenn der Leidensdruck entsprechend hoch ist. Darüber hinaus liegt ein Mangel an Lizenzen für die nötigen Fachkräfte für psychotherapeutische Therapiemaßnahmen vor, so dass der Bedarf an kassenärztlich gedeckten Maßnahmen nicht aufgefangen wird. Vielmehr sind diese Maßnahmen oftmals mit unzumutbar langen Wartezeiten oder Anfahrtswegen verbunden. Es muss gesichert sein, dass Langzeitüberlebende durch das Vergütungssystem nicht benachteiligt werden und einen adäquaten Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen erhalten.

Wie steht es um die kommunikative Kompetenz der Behandelnden?

Fachärzt/innen finden nicht immer die richtigen Worte im Umgang mit Betroffenen oder ihnen fehlt die notwendige Zeit. Viele Patient/innen wünschen sich einen empathischeren Umgang. Häufig fühlen sie sich in ihren Ängsten und Sorgen nicht ernst genommen, wenn Ärzt/innen lediglich medizinisch-technische Aspekte der Behandlung ansprechen, was die Unsicherheit der Betroffenen oft noch weiter verstärkt. Allerdings herrscht auf Seiten der Behandelnden häufig ein hoher Druck, schließlich sind sie nicht nur mit ihren eigenen fachlichen Ansprüchen konfrontiert, sondern müssen auch den Ansprüchen ihrer Patient/innen nachkommen. Betroffene wünschen sich vor allem eine umfassende Beratung und Aufklärung über ihre Erkrankung, um ihnen etwaige Ängste zu nehmen. Um dies zu ermöglichen, sollten die verfügbaren Informationen auf die verschiedenen Bewältigungsphasen und Situationen abgestimmt und Unterstützungsangebote besser koordiniert werden.

Welche Beratungs- und Unterstützungsangebote sollten ausgebaut werden?

Die Vernetzung von Health Professionals vereinfacht viele Prozesse für Patient/innen und kann (niedergelassene) Ärzt/innen entlasten. Ein Beispiel für ein solches Angebot ist die Unterstützung durch Beratungsstellen bei der Beantragung von Reha-Maßnahmen nach abgeschlossener Krebstherapie, der Zugang zu onkologischen Rehabilitaion oder unterstützender ambulanter Psychoonkologie außerhalb der behandelnden Zentren. Da auch eine Nachsorge, die an die individuellen Survivorship-Phasen angepasst ist, teils fehlt, ist es darüber hinaus oft nicht möglich Bedarfe richtig zu definieren und patientengerechte Angebote zu schaffen. Zusammenfassend fehlt es bisher an einer systematischen und flächendeckenden Umsetzung eines definierten und strukturierten Angebots für alle Betroffenen in Deutschland.

Um derartige Programme bedarfsgerecht aufbauen zu können, muss eine systematische Bedarfsanalyse mit ausreichend großen Stichproben durchgeführt und analysiert werden. Basierend auf den Ergebnissen muss ein Abgleich zu bestehenden Angeboten sowie eine Evaluation erfolgen, in welcher Phase des Survivorships welches Angebot erfolgen soll. Dabei muss ein kontinuierliches Prüfen von Wünschen und Notwendigkeiten erfolgen. Nachfolgend sind strukturierte und angepasste Angebote zu entwickeln und in Pilotprojekten zu erproben, um sie dann ggfs. flächendeckend in Deutschland auszurollen.

Neben der bestehenden Option, von ihrem behandelnden Krebszentrum zuverlässige Informationen zu ihrer Erkrankung zu erhalten, wünschen sich Patient/innen und Langzeitüberlebenden vorzugsweise, diese auch im Internet zu finden. Solche digitalen Angebote sind in den letzten Jahren aufgebaut worden z.B. das Infonetz Krebs der Deutschen Krebshilfe, der Krebsinformationsdienst KID des Deutschen Krebsforschungszentrums, die Online-Hilfsangebote des Melanom Info Deutschland e.V. und das 2021 eingerichtete, speziell an Hautkrebspatient/innen und –behandler/innen gerichtete Infoportal Hautkrebs.

Diese umfassenden Informationen sollten gemäß Patientenwünschen auch Hinweise zu Versicherungsleistungen beinhalten, die Betroffenen zustehen. Hierbei scheint vor allem der niedrigschwellige Zugang zum Sozialgesetzbuch (insbesondere das SGB V) und den S3-Leitlinien von großer Bedeutung. Einige Patient/innen benötigen zudem Unterstützung bei der Suche relevanter Informationen in einer für sie verständlichen Sprache. Idealerweise könnten derartige Informationsplattformen eine zentrale Hilfe bei der Orientierung im Gesundheits- und Sozialsystem darstellen. Als Nebeneffekt würde auch die Rolle von Selbsthilfe und Onkolotsen bzw. Onkoschwestern als Wegweiser und Ansprechperson für Patient/innen im medizinischen Bereich gestärkt werden.

Welche Verbesserungspotentiale werden identifiziert?

Die Koordinierung und Vernetzung vorhandener Unterstützungsangebote soll ausgeweitet und ein erleichterter Zugang für Patient/innen soll verbessert werden. Darüber hinaus sollten mehr bedarfsgerechte Angebote geschaffen werden. Auch eine bessere Vernetzung beteiligter Akteure, wie Fachärzt/innen, Niedergelassene, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen muss vorangetrieben werden. Der Aspekt der Selbstreflexion sollte stärkere Beachtung finden. Der Einsatz von Fragebögen und weiteren Instrumente kann hier förderlich sein.

Außerdem ist eine bessere Qualifikation des medizinischen Fachpersonals, im Studium und durch Fortbildungsangebote, vor allem im Hinblick auf Ärzt/in-Patient/in-Kommunikation, Empathie und die Sensibilisierung für die Situation der Patient/innen sowie für den eigenen Stress notwendig. Die Schaffung zusätzlicher Beratungsangebote zur Orientierung für Langzeitüberlebende, etwa durch Stärkung und Ausbau von Krebsberatungsstellen, wird vor allem auf Patienten/innenseite gefordert. Auch qualifizierte „Onkolotsen“ oder „Onkoschwestern“ mit spezifischer beruflicher Qualifikation, sollen das persönliche Orientierungs- und Hilfsangebot für Patient/innen ergänzen, ebenso wie der Ausbau digitaler Beratungsangebote für Langzeitüberlebende.

Abschließend soll auch ein verbesserter Zugang zu psychotherapeutischen Maßnahmen und Reha-Fortsetzungsprogrammen speziell für Langzeitüberlebende die Situation der Cancer Survivor langfristig verbessern und ihnen zu mehr Lebensqualität verhelfen.

Wie geht es weiter?

Im Rahmen der Diskussionsrunde konnten wichtige Aspekte und Potentiale von Survivorship-Maßnahmen identifiziert und relevante Forderungen formuliert werden. Die Arbeitsgruppen des NVKH. e.V. möchten sich dem Thema verstärkt widmen und zur Entwicklung eines strukturierten und bedarfsgerechten Survivorship-Programms für Hautkrebsüberlebende beitragen. Hierbei wird es zunächst darum gehen zu erfassen, welche Daten / Informationen benötigt werden und was bereits vorliegt.

Abschließend möchten wir Sie noch einmal auf die eindrucksvollen Kurzvideos von Melanompatient/innen hinweisen, die einen Einblick in den Alltag als Krebsüberlebende gewähren.